Samstag, 14. Mai 2016

Verbrauchte Liebe (Die brennende Sehnsucht)


Der schüchterne Cassian macht mehr zufällig die Bekanntschaft von Melanie. Es scheint Liebe auf den ersten Blick zu sein. Als er dann jedoch auf Melanies Geheimnis stößt, wird ihm sein eigenes Handicap erst richtig bewusst. Noch verschweigt er, dass er unter dem Tourette Syndrom leidet. Wie lange kann er seine Tics noch unterdrücken? Wie kommt er damit zurecht, dass Melanie als Prostituierte gearbeitet hat? Kann seine explodierende Sexualität und die Sehnsucht nach körperlicher Zweisamkeit die tief gerissenen Wunden seiner Zwänge und Tics heilen oder zumindest lindern? Vielleicht ja, wenn da nicht auch noch die Gesellschaft mit ihren Vorurteilen wäre.
 
Liebe ist der Entschluss das Ganze eines Menschen zu bejahen,
                                                 die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.

                                                                       (Otto Flake)

Leseausschnitt:

Der Akkuschrauber rutschte zum wiederholten Mal ab. Der Bit war nicht mehr der Beste. Cassian schwitzte wieder stärker. „Muuuudfuuuudfiii“, ertönte es im Verkaufsraum. Er zuckte erschrocken zusammen und schaute sich um. Kein Kunde zu sehen. Cassian atmete erleichtert auf.
Das war immer das größte Problem beim Aufbauen von Ausstellungsstücken hier in der Möbelkiste. So hieß die Abteilung des Möbelhauses für Mitnahmemöbel. Mit dem teilweise defekten Werkzeug war das nicht immer so einfach. Und erst recht nicht, wenn die vorbeigehenden Kunden immer wieder stehen blieben und zuschauten. Das konnte Cassian überhaupt nicht vertragen. Und erst recht nicht seine Tics und Zwänge. Es war schon schwierig, gleichzeitig diese blöden Aufbauanleitungen zu lesen und zu verstehen und die aufkommenden Zwänge zu unterdrücken. Erst recht nicht, wenn man dabei beobachtet wurde. Aber was tat man nicht alles für das liebe Geld. Und bezahlt wurde er hier gut. Es war jetzt schon das zweite Jahr, wo er im Möbelhaus während den Semesterferien jobbte.
Jetzt kamen doch tatsächlich einige Kunden um die Ecke und auf ihn zu. Auch gut, die letzte Schraube war gedreht. Er räumte schnell noch sein Werkzeug zusammen. Dann nichts wie weg von hier, zurück ins Lager. Hier war er die meiste Zeit sein eigener Herr. Ab und an schaute Klaus, der Azubi mal vorbei.
Hier lagerten alle die Möbel, zerlegt in Kartons, die vorne in der Ausstellung zusammengebaut standen. Cassian gab die gekaufte Ware bei Vorzeigen des Kassenbelegs an die Kunden heraus. Vor der Warenausgabe, ein Schiebetor von 5 Meter Breite, war auf der linken Innenseite ein mit Spanplatten zusammengebautes Bürohäuschen erstellt worden. Keine 2 x 3 Meter. Hier wurden die Zu –und Abgänge gebucht; hier wurden die Rechnungskopien abgelegt.
Cassian saß im Bürohäuschen und blätterte die Lieferscheine durch. Mike war heute auch noch überfällig. Er kam normalerweise jeden Mittwoch kurz vor Mittag mit der Lieferung aus dem Haupthaus zur Bestückung des Lagers.
Er kaute nervös an seinem belegten Brot. Es war immer ein Gewaltakt, mit dem kleinen Hubwagen die zerlegten und verpackten Möbel vom LKW ins Lager zu transportieren. Mike, der Fahrer, hatte gerade mal 40 Minuten Zeit. Das war sehr wenig für eine Person zum Entladen. Und Mike konnte mit seinen 73 Jahren nicht wirklich mithelfen.
Cassians Kopf fing schon wieder an, zu zucken. Und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Nur nicht daran denken.“ Und wenn dann auch noch Kunden vor dem Tor standen und auf die Ausgabe der Möbel warteten, begannen seine Tics erst recht zu explodieren.
Was sollte er zuerst machen. „Muuuuud, effffff“, seine Tics und die Laute aus seinem Mund nehmen rapide zu. Er versuchte krampfhaft, nicht mehr daran zu denken.
„Nur nicht weiter darüber nachdenken, was sein könnte.“
Sein rechtes Bein zuckte auf und ab. „Jetzt reiß dich endlich zusammen.“ Er schlug mit der Faust auf das Bein. Ein kurzer Schmerz und der Tic war überlagert.
„Muuufffhh“, er kämpfte innerlich wie äußerlich in dem kleinen Bürohäuschen gegen sich selbst, gegen das verfluchte Tourette.
„Hallo, ist da niemand?“
Cassian zuckte zusammen. Auf der kleinen Treppe neben der Warenausgaberampe stand eine junge Frau. Als er auf sie zuging, sah er, dass aus ihrem Kleinwagen ein weiteres Mädchen ausstieg.
„Hallo, was kann ich für Sie tun?“
„Ich möchte das hier mitnehmen“, sie gab ihm einen Kassenbon in die Hand. 
Cassian schaute zuerst auf das Papier und dann automatisch zu dem Kleinwagen vor der Rampe. Das Mädchen dort hatte bereits die Heckklappe geöffnet.

+ + + + + + + + +
 

„Werner ist und bleibt ein Arschloch. Wieso musste er das Ganze so provozieren und dann auch noch ausweiten.“ Cassian zwinkerte ganz leicht mit den Augen.
Melanie legte ihre rechte Hand langsam um Cassians Nacken und spielte mit seinem Haaransatz.
„Glaubst du denn, dass mir dein Verhalten so fremd ist, dass ich durch Werners Anspielung verunsichert oder gar geschockt bin?“
Cassian Blick versank in Melanies kastanienbraunen Mantelaugen.
„Dummerchen! Natürlich weiß ich von deinen Tics. Was denkst du, was ich in meiner zweijährigen Krankenschwesterausbildung noch so alles behalten habe? Glaubst du, der Begriff Tourette ist mir unbekannt. Du hast mir nie davon etwas gesagt. Natürlich hattest du deinen Grund dafür. Aber das hat mich nie gestört. Weißt du, was mich wirklich gestört hat? Was mich aus der Bahn geworfen hat und mein Leben wirklich fast zerstört hätte?“
Melanie liefen die Tränen in Strömen aus den Augen. Und Cassian hatte den Mund offen stehen und glaubte nicht, was er gerade hörte.
Erst als Melanie schwieg, kam er wieder zu sich. Er küsste erst ihren Mund und begann dann, jede einzelne Träne mit einem Kuss zuzudecken. Leider waren es aber doch zu viele.
„Und ich dachte, das wäre das Aus zwischen uns!“
Sie blickte ihn jetzt trotzig an. „Jetzt hör doch mal auf, nur an dich zu denken.“
Cassians erste Träne verschwand schneller, als sie in seinem Auge erschien. „Was meinst du damit?“
„Was denkst du, wie ich zu dem Leben gekommen bin, das ich im letzten Jahr gelebt habe?“
Cassian streichelte versonnen über ihren Bauch und malte Kreise um ihren Bauchnabel. „Nachdem ich deine Eltern heute kennengelernt habe, denke ich mir, dass ein großer Teil von ihnen verursacht wurde. Wie auch immer.“
Melanie entspannte sich etwas und trocknete sich mit dem Kopfkissen die Tränen. „Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, was hier so alles abgelaufen ist. Gaby hatte noch Glück, dass sie einen reichen Mann kennengelernt hat. Er ist zwar verheiratet, hat aber genug Geld, um sie nebenbei noch auszuhalten. Inoffiziell ist sie natürlich seine Freundin, und offiziell lebt er getrennt und will sich scheiden lassen. Meine Eltern glauben das, was sie glauben wollen. Gaby hat mir aber klar gesagt, dass sich Klaus niemals scheiden lassen würde.“ 
Melanie schwieg kurz.
„Liebst du mich?“ Die Frage von Cassian überraschte sie im ersten Moment total.
„Meine Seele und mein Körper gehören dir. Und nur noch dir. Das verspreche ich hoch und heilig!“
Cassian war geschockt. Er war absolut überrumpelt von dieser Hingabe. „Muuufgguu“, und bevor er noch weitere Laute von sich geben konnte, stillte Melanies Zunge in seinem Mund alle Tics und Zwänge.
Sie wischte Cassians Tourette einfach beiseite. Als ihre Zungen sich voneinander trennten, waren die Tränen in ihren Gesichtern zu kleinen Bächen geworden und ein Seufzen entwich beiden.
Cassians Hand lag immer noch zwischen Melanies Schoss und er wagte nicht sie zu bewegen.
„Und du?“, kam leise ihre Gegenfrage.
Sie schauten sich beide in die verweinten Gesichter.
„Über alles!“ Mehr konnte Cassian nicht von sich geben.
Sie schlangen ihre Arme umeinander und blieben mehrere Minuten so eng umschlungen liegen.
In Cassians Kopf rauschte es immer stärker. Er sah leicht verschwommen, wie Melanie sich wieder aufsetzte und sich das verweinte Gesicht mit einem Handtuch aus der Reisetasche trocknete. Leseausschnitt Ende
Produktdetails 
E-Book
  • Autor: Kelvin Waiden
  • Seitenzahl: 155
  • 2015
  • Deutsch
  • ISBN-13: 9783957452795


  • Produktdetails 
    Broschiertes Buch
  • Autor: Kelvin Waiden
  • Seitenzahl: 164
  • 2. Aufl.
  • 2015
  • Abmessung: 190mm x 120mm x 11mm
  • Gewicht: 180g
  • ISBN-13: 9783957452900
  • Deutsch

  • Hier erhältlich.
    Der Erlös der Einnahmen aus dem Verkauf der E-Books dieser Seite gehen als Spende an den
    InteressenVerband Tic & Tourette Syndrom e.V.
     


     

    Keine Kommentare:

    Kommentar veröffentlichen